[Diese Rezension ist an dieser Stelle die Erstveröffentlichung ; der anonymisierte Rezensient ist der Autorin bekannt]


Rezension: Eva Jancak, Sophie Hungers Krisenwelt


Die Option der Versuchsanordnung ein Buch ohne ISB-Nummer, welches am Programm eines Verlages und der restlichen Prozedur vorbei den Lesenden angeboten wird hat es mir angetan - ein Anti-Bestseller-Konzept quasi. Das Reizwort "Winterschlaf" im Programm der Alten Schmiede ist der absoluter it-Faktor - wenn mir sogar in den Fußnoten des Seins in einer Anstalt nachgesagt wird, ich hätte Winterschlaf gehalten, so komme ich an diesem Reizwort nicht vorbei.

Die Geschichte in "Sophie Hungers Krisenwelt" spielt unmittelbar nach Ausbruch der vorigen globalen Finanzkrise. Die Protagonistin wird, freiberufliche Lektorin in einem kleinen Verlag, auf unbestimmte Zeit freigesetzt - nicht ohne vom Chef flankierende Maßnahmen angeboten zu bekommen. Sophie Hungers beschließt alternativ diese Zeit zu ihrem persönlichen Nutzen zu verbringen: Ungelesene Bücher sich vorzunehmen, für die Gesundheit spazieren zu gehen, nur einfach-gute Speisen zuzubereiten und die restlichen Bedürfnisse zu minimieren.

Die Geschichte lebt davon, Sophie Hungers beginnt auf ihren Spaziergängen mit anderen Personen Kontakt zu knüpfen. Franka Stein, mit ihren zwei Jobs als Anzeigenkeilerin und Grabrednerin ergänzt perfekt die beschriebene Krisenwelt. Beim Großvater Franka Steins ist der Autorin ein nicht auflösbarer Spagat gelungen: Namentlich als Karl Lakner bezeichnet, welcher auch im Roman "Karl und das zwanzigste Jahrhundert" vorkommt, bleibt bis zuletzt unklar, ob dieser Großvater denn wirklich existiert und damit das Gesamtkonzept des Romans erschüttert, oder gar eine zweifache Lesart inklusive Glatteisrutschpartien ermöglicht.

Andere Dinge hingegen lassen sich in keiner Weise verschieden interpretieren: So etwa der zweite Erzählstrang in dem Buch, bei dem Valerie Oswald, Mutter zweier Kinder, um die Alimentszahlungen kämpft, den ständig im Aussendienst befindlichen und auf die Seite gesprungenen Ehemann nachreist, ihn immer wieder knapp verpasst und am Ende die Sekretärin ihres Mannes aus Hysterie die Sprunghaftigkeit des außerehelichen Liebenslebens über Städte hinweg durch Flucht beendet. Auch die Figur eines im Jobcenter geparkten und betrieblich nicht mehr benötigten Briefträgers wirkt authentisch, welcher die alleinerziehende Mutter beim Aufspüren ihres Mannes unterstützt.

Die Kinder werden während der Abwesenheit ihrer Mutter von der Großmutter, pensionierte Kindergärtnerin, versorgt. Nebenbei bemüht sich jene Großmutter die entstandene Messie-Situation in der Wohnung ihrer Tochter in Rekordtempo zu bereinigen. Eine unangemeldet auf Inspektion aufkreuzende Sozialarbeiterin kann dann doch nichts beanstanden, der empfohlene Psychiater nur bedingt seine Qualitäten unter Beweis stellen; obwohl nur kurz skizziert erfüllen diese beiden Personen ihr klassisches Berufsklischee.

Irritierend wirkt die bevorzugte und vorwiegend einzige Fortbewegungsform der Sophie Hungers: Zu Fuß. Auch die genaue Verortung der Handlungsplätze, deren Wiedererkennbarkeit und Zuordenbarkeit steht in einem schmerzlichen Widerspruch zur nur in der Fiktion existierenden Personen.

Die Essenz der Geschichte liegt darin, Menschen lassen sich auf Kommunikation mit anderen ein. Die Quintessenz ist es allerdings, die Geschichte besteht aus zwei Erzählsträngen, die sich in den Vorgängen rein gar nicht berühren, sondern ausschließlich in wenigen Momenten in den Gedanken der handelnden Personen.



Christian M.

23. Jänner 2011