Wilder Rosenwuchs

Franziska Link hat ihr Germanistikstudium abgebrochen und ist Altenhelferin bei ihrem ehemaligen Professor Meyer-Meldemann geworden. Rosa Binder schreibt an ihrer Dissertation über Thomas Bernhards Negativismen und betätigt sich als Profi-SMS-Chatterin um ihren Lebens- unterhalt zu verdienen, während Karoline Radetzky gerade ihre Sponsion gefeiert hat und sich, da sie keinen Job als Lektorin findet, bei einer Unternehmensberatungsfirma bewirbt. Sie alle leben in einer Welt der prekären Arbeitsverhältnisse, Scheinfreiberuflichkeit und neuer Selbstaändigkeit, weil sich ihre Lebensträume nicht anders erfüllen lassen. Dann gibt es noch ein von S. Fischer zurückgeschicktes Manuskript, das in einem Altpapiercontainer gelandet ist, während eine schwedische Bestsellerautorin damit dafür den Staatspreis der Akademie bekommt und eine weißhaarige alte Frau in einem altmodischen Blumenmusterkleid, die dieses Geheimnis begierig aufklären will.

November

„Was macht Ihr Roman, Frauenzimmerchen? Hat sich Ihre Agentur schon gemeldet und Ihnen ein gutes Angebot gemacht?”, begrüßte mich Gustav Meyer-Meldemann, wie mir scheinen wollte, ein wenig spöttisch, als ich bepackt mit einem Büchersack und der rosa Essensschachtel bei ihm erschien.

Ich deponierte die mobile Mahlzeit und die Bücher auf der Vorzimmerkommode, zog meine Jacke aus, nahm die Mütze von den kurzgeschnittenen Haaren und steckte sie mit den Handschuhen in die Jackentasche, denn es war sehr kalt geworden.

Der Winter war unversehens eingezogen und der alte Mann, der unter seiner Strickjacke einen blauen Wollpullover trug, sah noch ein wenig gebrechlicher aus.

„Nein, Herr Professor!”, dementierte ich seine Frage und schüttelte den Kopf.

„Noch nicht. Noch habe ich nur meinen Krimi hingeschickt, da ich mit der „Ingeborg Bachmann” beziehungsweise „Wilden Rosenwuchs”, wie ich den Roman jetzt nennen werde, noch nicht fertig bin. Den Krimi, den Sie gelesen haben, habe ich mit dem Vertrag hingeschickt und jetzt muß ich warten. Meine Freundin Rosa hat mir aber keine besonderen Hoffnungen auf Erfolg gemacht. Etwas anderes hat sich jedoch ereignet, was ich gern erzählen will, wenn es Sie interessiert. Zuerst will ich aber Ihr Essen in die Küche bringen und die Bücher auf den Schreibtisch stellen!”, sagte ich und wartete, bis der Literaturgewaltige Platz genommen hatte. Es schien ihm nicht sehr gut zu gehen, denn er brauchte lange, bis er den Lehnstuhl erreichte. Danach keuchte er heftig, obwohl er sich nichts anmerken ließ.

„Erzählen Sie nur, Frauenzimmerchen!”, forderte er mich stattdessen auf.

„Ich bin gespannt, Ihre Neuigkeiten zu hören, denn Sie wissen, ich fühle mich ein wenig abgeschnitten von der Welt der Literatur, die früher mein Zuhause war. Sie bringen mir aber die Nachrichten von draußen. Deshalb bin ich Ihrer Oberschwester auch sehr dankbar, daß sie Sie zu mir schickt. Sonst hätte ich heute zu darben und würde gar nichts mitbekommen, denn die Studentin ist für eine Woche zu ihrer Familie nach Bludenz gefahren und mit Veronika habe ich gerade telefoniert. Da hat sie sich entschuldigt, daß sie mit ihrem Lehrauftrag, beziehungsweise der Betreuung von Kindern und Ehemann so beschäftigt ist, daß es sich nicht ausgeht, mich zu besuchen. Also habe ich nur Sie und bin gespannt, was Sie mir erzählen wollen. Seien Sie so nett und setzen Sie sich auf eine Tasse Tee zu mir, den Sie auch bitte zubereiten wollen. Ich weiß, Sie halten sich da streng an Ihre Vorschriften von Ihren Klienten nichts anzunehmen, aber bei einer Tasse Ceylon Assam oder Earl Grey ist es gemütlicher. Wenn Sie also so nett sein wollen, Ihre Prinzipien ein wenig zu übertreten, ich werde Sie auch nicht bei Ihrer Oberschwester verraten und wählen Sie Ihre Lieblingssorte!”

Also ging ich in die Küche, wo ich die Plastikschälchen aus der Schachtel nahm und das Frühstücksgeschirr für den Abwasch vorbereitete, dann trug ich das Tablett mit der Kanne samt den Bechern in das Arbeitszimmer und nahm vor seinem Schreibtisch Platz.

„Wenn Sie darauf bestehen, bin ich so frei!”, sagte ich und goß die Schwarzteemischung ein.

„Obwohl ich Ihnen, wenn ich es recht betrachte, gar nicht viel erzählen kann und es sind auch keine Nachrichten aus der Welt der Literatur, zumindest keine richtigen und nicht die, die Sie sich erwarten. Meine Neuigkeiten stammen von den Nebenschauplätzen, da ich mich am Rand befinde und nur das Abseits der Literatur erlebe und davon kann ich auch berichten. Ich habe eine weitere Reaktion auf mein Autorenportrait bekommen. Noch eine außer Margarete Wetzlars Empörung und Anna Gmeiners Gratulation, denn da hat sich jetzt ein Thomas Hofer von einer Internetbuchhandlung gemeldet, der mir helfen will, meine Bücher zu verbreiten. Klingt gut, habe ich gedacht, aber Sie schauen schon so skeptisch, als wüßten Sie bereits, was ich erzählen werde. Denn als ich mehr über das Angebot erfahren wollte, habe ich herausbekommen, daß Thomas Hofer meine Bücher für je dreißig Euro pro Stück mit tausend Zeichen Text und Foto auf seiner Website vorstellen will und mir dann pro verkauftem Buch fünfundzwanzig Prozent vom Honorar verrechnet. Dafür wird er auch meine Lesungen veröffentlichen und ich hätte eine Chance auf ein Autorenportrait, weil er jedes Monat einen anderen Autor auf seiner Seite präsentiert. Sie haben recht, Herr Professor, so skeptisch zu schauen, denn diese Nachrichten waren nicht sehr gut für mich und so habe ich Thomas Hofer, der sicher auch ein arbeitsloser Literaturwissenschaftler mit zusätzlicher EDV-Ausbildung ist, geschrieben, daß ich mich lieber selbst promote, indem ich immer zwei meiner Bücher in meiner Tasche trage und sie den Interessierten zeige. So wird mir von Inter-Books nichts, als der Satz „Ihre Bücher sind es wert gelesen zu werden!” in Erinnerung bleiben. -- Denn das denke ich auch, da ich aber sparsam bin, ist nichts aus dem Geschäft geworden und jetzt warte ich auf Stephan Budenskys Vermittlung. -- Aber Sie sollten nicht mehr länger warten, Herr Professor, denn Sie werden hungrig sein. Reisfleisch mit Salat und Eintropfsuppe habe ich in der Küche entdeckt, dann gibt es noch einen Schokoladepudding. Wenn es Ihnen recht ist, wärme ich die Suppe und das Fleisch jetzt auf. Sie werden sich inzwischen Ihre Bücher ansehen wollen!”

Der alte Mann nickte.

„Tun Sie das, Frauenzimmerchen! Und seien Sie nicht traurig über Ihren Mißerfolg, Sie sind ja eine tapfere Person. Ihre Romane haben mir auch gut gefallen. Geben Sie nicht auf. Ihre Elisa Frankenberg hat das ebenfalls nicht vor. Von ihr müssen Sie mir noch berichten!”, rief er mir in die Küche nach.

Ich war damit aber nicht sehr weit gekommen. Eigentlich war Elisa Frankenbergs Verwirrung im Cafe Engländer das Letzte was ich aufgeschrieben hatte, wie mir einfiel, als ich ein paar Stunden später in der Leselounge der Hauptbücherei Platz nahm, meine Jacke auszog und die graue Strickmütze von den Haaren nahm.

Hatte ich mich doch entschlossen, nach meinen Besuchen bei dem Literaturgewaltigen die Hauptbücherei aufzusuchen und den Heimweg mit einem kleinen Umweg zu absolvieren, da es bequemer war, in der Leselounge auf einem roten Ledersessel zu sitzen, als im neuen Institutsgebäude auf dem Fensterbrett.

Gar nicht weit war ich damit gekommen und ich hatte auch nichts zu erzählen oder nur ein bißchen jedenfalls. Denn Elisa Frankenberg war in ihrer Verwirrung vom Cafe Engländer in die Buchhandlung Morawa in die Wollzeile gegangen und hatte auf den Büchertischen den Stapel mit der Aufschrift „Wilde Rosen” -- „Der Bestseller aus Schweden” gleich entdeckt. Ein altmodisches Frauenbild und ein weißer Rosenstrauß waren auf dem Schutzumschlag abgebildet und damit hatte sie sich in eine Leseecke begeben und das orangenfarbene Kuvert aus der Tasche gezogen.

Irene Suchar hatte sich nicht geirrt. Es war derselbe Roman, der auf Elisa Frankenbergs Knien lag. Übersetzt aus dem Schwedischen von einer Greta Lienberg und das Foto der Bestsellerautorin zeigte eine blonde Schwedin mit einer rechteckigen Lesebrille über den kurzsichtigen Augen.

Da war Elisa Frankenberg in eine neue Verwechslung hineingeraten, die sie mehr durcheinanderbrachte, als daß man sie im ORF-Theater in der Sponheimerstraße für die Bachmann gehalten hat. Denn damals hatte sie die Aufregung um sich herum genossen, jetzt war sie verwirrt und kannte sich nicht aus.

Denn wie kam S. Fischer dazu, der verstorbenen Maria Schneider ihr Manuskript als unbrauchbar zurückzusenden, wenn es ein paar Jahre später übersetzt von einer Greta Lienberg zum Bestsellerereignis geworden war?

Es war derselbe Roman, da gab es keinen Zweifel, auch wenn er „Wilde Rosen” hieß. Vielleicht war das ein Übersetzungsfehler und die Übersetzung klang auch ein wenig anders, aber die Handlung war die gleiche, wie Elisa Frankenberg feststellen sollte. Ihre Verwirrung wuchs, konnte sie doch nicht verstehen, wie „Wilde Rosen” von Annika Lund in großer Auflage in der Buchhandlung aufliegen konnte, wenn sie das Manuskript vor kurzem aus einem Altpapiercontainer gezogen hatte und es wurde auch nicht besser, als sich ein junger Verkäufer zu ihr hinunterbeugte und sich erkundigte, ob sie das Buch nicht kaufen wolle?

„Denn es ist ein sehr guter Roman und die Schriftstellerin hat dafür den Staatspreis der schwedischen Akademie erhalten!”, sagte er in dem Versuch, sie zum Kauf zu veranlassen und Elisa Frankenberg nickte.

Zum eigenen Erstaunen tat sie das, denn als Mindestrentnerin konnte sie sich die siebenundzwanzig Euro neunzig eigentlich nicht leisten und sie hatte auch das Originalmanuskript im orangen Briefkuvert in ihrer Tasche stecken. Oder war es umgekehrt? Schon um das herauszufinden, nickte sie und so führte sie der Verkäufer zum Kassentisch, wo er das Buch der Kassierin übergab und Elisa Frankenberg kramte umständlich in der Börse, zog schließlich zwei Zehner, einen Fünfer und zwei Zweieuromünzen heraus, um mit Bedauern festzustellen, daß nur noch ein paar Centmünzen drinnen blieben. Was sollte sie mit dem Roman in der Doppelausgabe, wenn sie eigentlich Lebensmittel besorgen hatte wollen? Als sie den Kauf aber rückgängig machen wollte, hatte die blonde Kassierin das Buch schon in ein Plastiksackerl gesteckt und ihr zehn Cent und ein Eurostück mit dem Rechnungszettel retourniert.

„Viel Freude bei der Lektüre!”, wünschte sie noch freundlich und so stand Elisa Frankenberg wenig später mit Kuvert und Säckchen auf der Straße und wußte nicht weiter.

Wußte vor allem nicht, was sie den Rest der Woche essen sollte. Da fiel ihr nur der Caritasbus Louise und ein solches Obdachlosencafe ein, wenn das, was sich noch im Kühlschrank und Küchenkasten befand, nicht reichen sollte.

Da sie im Augenblick aber nicht hungrig war, verdrängte sie das Problem, spazierte die Wollzeile hinunter und stand etwas später vor einem Reisebüro. Beziehungsweise stand vor diesem ein sehr junges Mädchen, das ein weißes Käppchen auf dem Kopf trug.

„Bitte sehr!”, sprach sie Elisa Frankenberg an.

„Möchten Sie an unserem Glücksrad drehen? Sie können eine Reise gewinnen.”

„Eine Reise?”, wunderte sich Elisa Frankenberg und war nicht besonders bei der Sache.

Das Werbemädchen nickte und strahlte sie freundlich an.

„Ja, nach Paris, London, Stockholm oder Kopenhagen. Ganz nach Belieben. Sie brauchen nur zu drehen und schon kann ich Ihnen gratulieren! Versuchen Sie Ihr Glück!”

„Nach Stockholm?”, wiederholte Elisa Frankenberg und wunderte sich nicht mehr, daß sie auch dieser Aufforderung nachkam.

Diesmal war der Briefkasten leer, als ich die Albertgasse erreichte. Vielleicht hatten Karo oder Rosa schon die Post geholt. Vielleicht war auch keine gekommen. Kam die Post in letzter Zeit doch spät und auch unregelmäßig. Vielleicht wird in Zeiten der SMS und des Internets auch nicht mehr soviel Post verschickt.

Wie auch immer, dachte ich und stieg mit meinem Manuskript fast beschwingt die Stockwerke hoch.

Die Freundinnen waren zu Hause, aus dem Bad war Wasserrauschen zu vernehmen und Rosa stand in Jeans und dem für sie obligatorischen rosaroten Tüchlein am Herd und setzte Teewasser auf.

Auf dem Tisch lagen ihre Gedichtbände. Also war sie wieder fleißig.

„Hallo!”, sagte sie und wandte sich mir zu.

„Ich bin gerade erst gekommen und mache Tee. Ich habe eine Jasminmischung im Sonderangebot bekommen, die ich ausprobieren möchte. Karo telefoniert gerade, will uns aber einen Kartoffelauflauf zubereiten, mit grünem Salat und Tomaten, denn das haben sie und Max vom Naschmarkt mitgebracht. Max ist im Bad und ich --”

Sie brach ab und wurde rot, um sich kurzentschlossen von der Herdplatte wegzudrehen und zum Küchentisch zu kommen.

„Ich war mit Konrad im Cafe Hummel. Dort haben wir für unsere Gedichteagentur eine kleine Auswahl zusammengestellt. Für unsere Traumagentur, denn Digi-Dreams ist bös auf mich und scheint mich gesperrt zu haben. Vielleicht hat sich der Pauli über mich beschwert oder mein Supervisor ist auf mich wütend, weil ich seinen Anweisungen nach mehr Erotik nicht nachgekommen bin und lieber Gedichte verschickt habe. Es kommt in der letzten Zeit jedenfalls nichts herein und dann wird es knapp mit dem Geld, habe ich ja kein Stipendium. Andererseits kann ich mich wieder mehr auf meine Dissertation konzentrieren. Und wenn ich schneller fertigwerde, wird vielleicht doch etwas aus unserer Gedichteagentur!”, sagte sie und hatte die Teekanne mit den Bechern auf den Tisch gestellt.

Sie wollte weitersprechen, wurde aber von Karo unterbrochen, die mit ihrem Handy und hochrotem Kopf die Küche betrat.

„Stellt euch vor Mädels, sie nehmen mich!”, verkündete sie mit tonloser Stimme und nahm Platz.

Rosa starrte sie an.

„Wer?”, erkundigte sie sich spitz.

„Deine Unternehmensberatung?”

Karo nickte, dann griff sie nach der Kanne, um sich einzuschenken. Ihre Hand zitterte dabei.

„Sie haben es mir gerade mitgeteilt. Bei dem Münchner Wochenende haben sie mich mit zwei anderen ausgesucht. Mit zwei Männern und jetzt soll ich ins Berliner Hauptbüro zu einem letzten Auswahltag kommen, wo es entschieden wird!”, sagte sie mit dünner Stimme und nahm einen kräftigen Schluck aus ihrem Becher.

„Und dann bist du Unternehmensberaterin und wirst die Spreu vom Weizen trennen?”, erkundigte sich Rosa giftig und griff nach den Gedichtbänden.

„Ja”, antwortete Karoline.

„Oder, nein. Ich weiß es nicht. Der dritte Tag soll der härteste in dem Auswahlprocedere sein. Da werden wir auf Herz und Nieren überprüft und auf unsere Gesinnung untersucht und dann nehmen sie wahrscheinlich die beiden Männer oder sie entscheiden sich für mich. Mein Betreuer hat mir gesagt, daß ich gute Chancen hätte. Meine Art gefällt ihnen und das Einstiegsangebot, daß sie dir machen, ist derartig überwältigend, daß ich komplett wahnsinnig wäre, wenn ich nicht alles daransetzen würde, genommen zu werden. In Zeiten wie diesen kannst du das nicht ablehnen, noch dazu, wo ich kein anderes Angebot habe und SMS-Chatterin mit erotischem Touch möchte ich nicht werden, Rosa Rosenrot, da ziehe ich ganz ehrlich ASM vor, bis ich doch etwas als Lektorin finde. Obwohl die Verlage alle in der Krise stecken. Mein Betreuer hat mir in München während des Abendessens erzählt, daß er vor kurzem einen bekannten deutschen Großverlag saniert hat. Da sind fünfundzwanzig Lektoren freigesetzt worden und bieten sich nun freiberuflich an. Da finde ich sicher nichts, Rosa Rosenrot, das kann ich mir abschminken und die Freiberuflichkeit, wo ich im Internet Ghostwriting und kreative Schreibgruppen für Volkshochschulen anbiete, ist es auch nicht. Oder soll ich Lockangebote an hoffnungsvolle Jungautoren verschicken? Das kennen wir doch alles und erleben es jeden Tag in unserer WG. Da ist es sicher besser, von meinem Sparbuch hundert Euro abzuheben, mir bei H. u. M. ein schickes Outfit zu verpassen und damit verkleidet auf ASM Kosten erster Klasse nach Berlin zu fliegen und noch einen Tag lang versuchen den besten Eindruck zu machen, auch wenn ich zum Einstieg vielleicht Fischer oder Suhrkamp sanieren darf, weil ich etwas von Literatur verstehe und sie ihre Berater fachspezifisch einsetzen, wie ich herausgefunden habe. Was soll es aber, Rosa Rosenrot? So ist das Leben! Denn wenn ich bei deiner und Konrads Gedichteagentur einsteige, werde ich nicht reich!”, sagte sie mit schriller Stimme, dann ging sie zum Kühlschrank, um einen Salatkopf und eine Tüte mit Cherrytomaten herauszuholen.

„Und bevor du mich für völlig moralisch entglitten hältst, Rosa Rosenrot!”, sprach sie mit derselben dünnen Stimme weiter, „erzähl ich dir, daß ich mit mir einen Kompromiß geschlossen habe. Ich fliege nach Berlin und gebe mit einem Aufputsch- und einem Beruhigungsmittel in der Handtasche beim dritten Durchgang mein Bestes, damit sie mich nehmen und ich nicht als arbeitslose Germanistin in der Verelendung versinke. Dafür lasse ich Max in meinem Zimmer schlafen und setze eine gute Tat, weil ich ihn von der Straße wegbringe. Da es euch nicht stört, daß er das Bad benützt, nehme ich an, daß ihr auch nichts dagegen habt, wenn er bei mir übernachtet. Seinen Anteil für die Haushaltskasse übernehme ich und für heute lade ich euch zum Essen ein. Einen Kartoffelauflauf mit einem griechischen Salat will ich zubereiten. Wir haben vorher eingekauft. Max ermuntert mich, die Chance zu ergreifen und da auch die Franzi, als wir das letzte Mal darüber geredet haben, nichts eingewendet hat, werden sich meine Schuldgefühle in Grenzen halten. -- Und noch bin ich nicht genommen worden. Noch darf ich erst nach Berlin fliegen und eine Stadtrundfahrt auf ASM Kosten absolvieren, bevor sie mich auf Herz und Nieren untersuchen und das soll, wie mir die anderen in München flüsterten, der härteste Auswahltag sein!”, sagte Karo, ruhiger werdend, holte die Kartoffelkiste aus dem Vorratsschrank und stellte einen Topf mit Wasser auf den Herd.

„Wie geht es dir, Franzi?”, erkundigte sie sich bei mir.

„Was macht der Professor und dein Roman? Und was tut sich in deiner literarischen Agentur? Hast du schon ein Angebot bekommen?”

„Nicht, daß ich wüßte!”, antwortete ich.

„Wenn ihr das nicht mit der Post heraufgebracht habt, ist noch nichts gekommen. Vielleicht hat es aber auch der Aushilfsbriefträger in ein falsches Postfach gelegt, das ist ja in der letzten Zeit öfter vorgekommen. Vor ein paar Tagen hat mir ein Herr sogar meine Post aus der Josefstädterstraße nachgetragen, die sie in sein Brieffach gelegt haben. -- Soll ich dir beim Kochen helfen?”

Karo schüttelte den Kopf mit den blondgefärbten Haaren, die sie zu einem Roßschwanz zusammengebunden hatte.

„Das mache ich allein. Ich habe ein Spezialrezept, das ich ausprobieren möchte. Max und ich sind heute nämlich auch bei „Milena” vorbeigekommen. Das heißt, ich wollte nachfragen, ob sie eine Praktikantin brauchen. Dabei haben wir ein feministisches Kochbuch für drei Euro in der Abverkaufskiste gefunden, das mir Max gekauft hat, als hätte er geahnt, daß ich noch eine Überraschung erlebe. Mit der Praktikantin wird es aber nichts, da gibt es eine endlose Warteliste und dann würden sie auch nichts bezahlen, da müßte ich mich von anderen Stellen fördern lassen. Also habe ich es besser getroffen, da ich mir demnächst Berlin ansehe, das wunderschön sein soll, auch wenn ich den Bürgermeister bei einem Interview sagen hörte, daß es total verarmt ist und große soziale Probleme hat. Das soll mich nicht kümmern. ASM bezahlt den Flug und das Hotelzimmer, aber jetzt ist Max gekommen!”, sagte sie und strahlte den Mann an, der mit tropfenden Haaren die Küche betrat.

„Ich fange mit dem Kochen an, in einer Stunde bin ich fertig und eine gute Flasche Wein habe ich am Naschmarkt auch besorgt. Wenn du uns zur Feier des Tages ein schönes Gedicht rezitieren willst, Rosa Rosenrot, wäre das fein!”, sagte sie und blickte zu der Freundin, die immer noch in ihren Bänden blätterte. Jetzt schaute sie auf und stimmte zu meinem Erstaunen zu.


Alfred Nagl
Last modified: Wed May 2 17:43:49 CEST 2007