Claire - Klara - Clarisse oder wilder Lavendel

Weil sie glaubt, daß ihr Freund Edy sie auf dem Sommerfest ihrer Zeitung mit ihrer Freundin Kathrin Schneider betrogen hat, bricht die dreiunddreißigjährige Redakteurin und Buchpreisjurorin Klara Winter überstürzt und zu früh zu dem geplanten Kroatienurlaub auf. Dort am Campingplatz von Trogir auf dem sie mit dem alten VW-Bus ihrer verstorbenen Eltern Quartier genommen hat, hat sie nach ihrer Ankunft einen wirren Traum. Sie träumt von einem Zauberer mit einem blauen Luftballon, der ein weißgekleidetes kleines Mädchen von ihrer Mutter und ihrer Zwillingsschwester weg, zu einer anderen fremden Frau führt und lernt dann am nächsten Morgen in einem Cafe, dessen feschen Besitzer Sergej Abrahmovic kennen, der dem Zauberer im Traum zum Verwechseln ähnlich sieht.

Claire - Klara - Clarisse oder wilder Lavendel

1.

Es war drei Uhr Nachmittag, als Klara Winter zu ihrem Bus kam, die Anmeldepapiere im Handschuhfach verstaute und sich mit der Hand über die halblange brünette Haarpracht fuhr.

„Geschafft, geschafft!”

Sie war in Kroatien angekommen und trotzdem nicht zufrieden, sondern höchst unglücklich, obwohl es Schweißperlen und keine Tränen waren, die über ihre Wangen rannen und das war auch sehr natürlich. Denn es war heiß auf dem Campingplatz, wo sie gerade ihre Zelte aufgeschlagen hatte oder, um genau zu sein, es war kein Zelt, sondern ein hellblauer VW-Bus, der noch von ihren Eltern stammte, mit dem sie gestern überstürzt losgefahren war. Denn eigentlich war es nicht geplant gewesen, daß sie jetzt schon mit ihrem E-Book Reader herkam. Sie wollte mit Edy noch einige Tage in Wien bleiben, bevor sie nach Kroatien fahren wollten. Das schon. Daß sie den heurigen Sommer an der kroatischen Küste verbringen wollten, war mit ihm abgesprochen. Dann hatte die „Zeitung” am Dienstag in einem Gartenhotel ein Abschlußfest gemacht, bevor es in den Sommer ging und sie war mit einem neuen schwarzen Kleid und hochhackigen Sandalen hingegangen. Hatte sich auf das Fest gefreut und auch ihre Studienkollegin Kathrin Schneider, die bei der „Zeitung” volontierte, getroffen. Dann hatte Edy sie mit ihr betrogen oder war es umgekehrt? Das wußte sie gar nicht so genau, obwohl sie während der Fahrt an nichts anderes gedacht hatte. Gleich nachdem sie nach Hause gekommen war, war sie losgefahren. Hatte nur schnell den E-Book Reader und ein paar Kleidungsstücke in einen Rucksack und eine Reisetasche gepackt und dabei sicher eine Menge vergessen. So daß sie einiges nachkaufen und sich neu einkleiden würde müssen, wenn sie sechs Wochen bleiben und erst, wie geplant, zur Jurysitzung in Wien eintreffen wollte. So hatte sie es auf ein „Post-it”geschrieben und Edy diese Nachricht mit ihrem Handy zurückgelassen, denn der war nicht da gewesen. Lag wahrscheinlich mit der falschen Kathrin im Hotelzimmer und würde sich wundern, wenn er am Vor- oder Nachmittag heimkommen würde.

„Bin schon zum „Buchpreislesen” abgefahren! Komme pünktlich zur Jurysitzung zurück! Du brauchst dir um mich keine Sorgen machen, sondern kannst weiterhin viel Spaß mit Kathrin haben!”

Jetzt waren es wirklich Tränen, die über ihre Wangen rannen und kein Schweiß. Tränen der Wut und des Zorns, daß Edy sie betrogen hatte. Es konnte gar nicht anders sein, denn wohin wäre er sonst auf dem Fest verschwunden? Kathrin war auch nicht dagewesen, als sie es um halb zwei verlassen hatte und mit dem Taxi in die Wohnung gefahren war, in der sie seit drei Jahren mit Edy lebte. Mit Eduard Mörtischer, der ihr Freund und eigentlich ihr Chef und Ressortleiter in der „Zeitung” war, der sie in die Redaktion gebracht und auch den Juryvorsitz beim „Buchpreis” hatte, während Kathrin Schneider, ihre ehemalige Studienkollegin, die sie für ihre Freundin hielt, gerade mit einem Volontariat begonnen hatte. Denn die Zeiten waren schlecht und es, wie sie immer hörte, fast unmöglich, eine fixe Anstellung in einer Redaktion zu bekommen, statt sich jahrelang von einem Volontariat zum nächsten zu hanteln.

„Du hast es durch deinen Freund sehr leicht gehabt!”, hatte Kathrin nach einem falschen Begrüßungsküßchen zu ihr gesagt und sie böse angefunkelt. Es mochte sein, daß sie schon etwas betrunken war. Wahrscheinlich waren sie es beide gewesen, als sie sich auf der Hotelterrasse begegnet waren und Kathrin war ihr sicher neidig, daß sie seit drei Jahren fixe Redakteurin war und heuer auch „Buchpreis-Jurorin”, während sie selbst erst mit dem Volontariat begonnen hatte. Denn sie hatte Edy mit glitzernden Augen begehrlich gemustert. Dann waren beide verschwunden. Sie hatte ihn nicht mehr finden können, so daß sie mit dem Taxi nach Hause gefahren war, die Nachricht schrieb, den E-Book Reader mit den „Buchpreis-Büchern”, den Rucksack und die schwarze Reisetasche zu ihrem VW-Bus trug und losfuhr. Daß sie den Sommer an der kroatischen Küste verbringen und dort die eingereichten Bücher studieren wollten, hatte sie mit Edy abgemacht. Aber jetzt würde er sie nicht finden und konnte, wenn er wollte, sich mit Kathrin amüsieren, dachte Klara und spürte wieder Tränen auf ihren Wangen. Ihr ganzes Gesicht und auch das T-Shirt war patschnaß geworden. Sie konnte sich nicht mehr auf die Hitze ausreden und hatte den Bus auch im Schatten abgestellt. Unter einen großen Baum mit Meeresblick. Eigentlich herrlich, den Sommer hier zu verbringen, wenn sie nur nicht so verloren wäre und so wütend auf Edy, den sie liebte und auch viel zu verdanken hatte. Aber jetzt war es aus. Er hatte sie betrogen. Werner und Andreas hatten die beiden weggehen gesehen und sie würde sich das nicht gefallen lassen. Das hatte sie nicht nötig und brauchte auch keine Protektion.

„Du hast es gut!”, hatte Kathrin neiderfüllt gesagt und mit blitzenden Augen Edy angestrahlt, der der schönen Frau offenbar nicht widerstanden hatte oder bildete sie sich das nur ein? Natürlich nicht! Werner und Andreas, die beiden Kollegen, hatten sie in ein Hotelzimmer verschwinden sehen und ihr das prompt mitgeteilt. So hatte sie das Fest verlassen, ihre Sachen gepackt und war losgefahren. Jetzt war sie auf dem Rozak-Camp in Trogir angekommen, auf dem sie die nächsten Wochen verbringen wollte und es sollte ein schöner Sommer werden, wenn ihr nur Edy nicht so fehlen würde und sie nicht so wütend auf ihn und Kathrin wäre.

„Zur Jurysitzung sehen wir uns wieder!”, hatte sie geschrieben und das Handy voll Absicht zurückgelassen, damit er sie nicht finden konnte, obwohl sie gar nicht wußte, ob er das wollte. Er wußte jedenfalls nicht, wohin sie gefahren war, denn sie hatten noch keinen Campingplatz gebucht. Die kroatische Küste war ihre Idee gewesen. Jetzt war sie angekommen, hatte den Platz für sechs Wochen gemietet, sollte sich hier heimisch fühlen und mit ihrer Umgebung arrangieren, die wunderschön war, dachte sie und wischte wieder mit der Hand über ihre Wangen.

„Stop, halt, aus!”

Die beiden älteren Holländer, die nebenan vor ihrem Camper saßen und ihr vorher freundlich zugelächelt hatten, würden sie für eine Heulsuse halten. Konnten ihre Tränen, da sie den Bus verschlossen hatte, aber nicht sehen und das war wahrscheinlich auch der Grund, warum sie so schwitzte. Denn es war stickig in dem Bus und sie sollte das nasse T-Shirt ausziehen. Sollte in den Bikini wechseln, wenn sie ihn nicht einzupacken vergessen hatte und eine Runde im Meer schwimmen oder nein. Nicht übermüdet ins Wasser springen. War sie doch eineinhalb Tage mit nur einer kurzen Unterbrechung durchgefahren und sollte eigentlich schlafen. Aber erst den Campingtisch und die Campingliege vor den Bus stellen. Nachsehen, ob sie die Kaffeemaschine mitgenommen hatte und sich gegebenenfalls einen Espresso zubereiten oder sollte sie sich den aus dem Restaurant, das sich der Rezeption gegenüber befand, holen? Vielleicht sich doch erst hinlegen, um das ältere holländische Ehepaar gar nicht auf die Idee zu bringen, daß die junge hübsche Redakteurin und „Buchpreis-Jurorin” eine Heulsuse war, weil ihr Freund sie betrogen und verlassen hatte. Aber das hatte sie getan. Sie war Edy davon gefahren, nachdem Kathrin ihn in ein Hotelzimmer schleppte und er die ganze Nacht nicht nach Hause gekommen war.