Kein Frühlingserwachen mehr?

Frähjahr 2020, die Corona Krise ist ausgebrochen. Geschäfte, Restaurant, Schulen und auch die Museen wurden geschlossen, sodaß die fünfundsechzigjährige Wien-Museum-Kuratorin, Roswitha Herweg ihre geplante Ausstellung über das „Rote Wien” im Homeoffice vorbereiten muß.

Dabei telefoniert sie viel mit ihrem Assistenten Viktor, in den sie sich fast ein wenig verliebt, während ihr an Alzheimer erkrankter Mann Egon, ein ehemaliger Universitätsprofessor, der von der slowakischen Personenbetreuerin Janina betreut wird, die Krise als einen dystopischen Roman erlebt.

1.

„Shit!”, dachte Roswitha Herweg und starrte ihren Laptop an, wo Viktor Neumann sich gerade verabschiedet hatte. Das Skypemeeting war beendet. Ihr Assistent, der nach dem Sommer, wenn sie sich in den vielgerühmten Unruhestand verabschiedete, wahrscheinlich ihr Nachfolger werden würde, war verschwunden. Sein Bild aber in ihrem Kopf geblieben. Im Kopf und in den Gedanken und von dort, wie sie fürchtete, nicht so einfach wegzubringen.

„Großes Shit und Ungewitter!”, so hatte es ihre Tochter Beate genannt, als sie sich zuerst in der Trotzphase, später in der Pubertät befunden hatte und damit meist einen Familiensturm auslöste. Das war lange her, hatte Bea doch kürzlich ihren achtundzwanzigsten Geburtstag gefeiert und ihr mit strahlenden Gesicht versichert, daß sie bald ihr Abschlußzeugnis bekommen würde.

„Abschlußarbeit erfogreich beendet, Mama! Ich bin nun eine richtige und nicht mehr bloß eine Therapeutin in Supervision!” Psychotherapeutin in der Abteilung systemische Familientherapie, wie die vollständige Bezeichnung lautete. Eine Qualifikation, die Bea schon seit längerem veranlaßte, ihr Handwerk bei ihr und Egon einzuüben und so hatte sie auch, als die Pressekonferenz des Bundeskanzlers vorüber war und sie mit großen Fragezeichen in ihrem Büro im Wien-Museum saß, angerufen und sie aufgefordert nach Hause zu gehen und das geplante Homeoffice in Anspruch zu nehmen.

„Du bist schon über Fünfundsechzig, Mama, gehörst infolgedessen zur Risikogruppe, auf die man jetzt besonders aufpassen muß!”, hatte das Kücken gegackert und Roswitha hatte, wie sie sich erinnern konnte „Wie bitte?”, in ihr Handy gefragt. Das war vor einer Woche passiert. Jetzt befand sie sich im Heimoffice. Ihr Büro, in dem sie eine Ausstellung über das „Rote Wien”, die am fünfzehnten Juni im Wien-Museum eröffnet werden sollte, vorbereitete, befand sich jetzt in ihrem Wohnzimmer. Sie saß am Laptop, wo sie noch vor kurzem mit Viktor Neumann, ihrem Assistenten, der sich ebenfalls im Homeoffice befand, konferiert hatte. Hatte von ihrem Schreibtisch den Blick in die Küche, wo Egon mit einem Lätzchen über seinem Hausanzug am Tisch saß und sich von seiner slowakischen Betreuerin Janina Pavlova mit der zweiten Hälfte seines Frühstücks versorgen ließ, was Roswitha zu einem weiteren Seufzer veranlaßte. Egon war ihr angetrauter Gatte. Acht Jahre älter, in den sich die Kunstgeschichtsstudentin vor mehr als fünfunddreißig Jahren unsterblich verliebt hatte und das eigentlich noch immer war. So war es oder sollte es sein, auch wenn ihr das die Psychotherapeutentochter nicht glaubte, beziehungsweise ihr in ihren Fachjargon auszureden pflegte. Damals war Egon ein hoffnungsvoller Historiker gewesen. Dozent am historischen Institut der Universität, wo er vor drei Jahren als Institutsvorstand emeritiert war. Vorher war schon die Alzheimer-Krankheit bei ihm ausgebrochen, was dazu führte, daß das ehemalige Kinderzimmer, das Bea und Albert miteinander geteilt hatten, abwechselnd von den slowakischen Personenbetreuerinnen Zsuzsanna Filipova und Janina Pavlova bewohnt wurde, die sich um Egon kümmerten, während sie im Wien-Museum ihre Ausstellungen kuratierte und langsam begonnen hatte, darüber nachzudenken, wie es sein würde, wenn sie nach dem Sommer ihren Alltag nicht nur mit Egon, sondern auch mit Zsuzsanna oder Janina teilen würde? Das Problem hatte sich inzwischen vorverlagert, denn vor einigen Wochen war zuerst in China das Corona-Virus ausgebrochen, das sich inzwischen auf der ganzen Welt zu verbreiten schien und so auch das Wien-Museum erreicht hatte. Der Kanzler hatte eine Pressekonferenz gehalten. Ausgangssperren, sowie die Geschäfte, die Schulen und die Museen geschlossen und so befand sie sich seit Montag in Heimquarantäne. Hatte sich dort mit ihrem Assistenten Viktor mit der Ausstellungsplanung zu beschäftigen, während Egon in der Küche vor sich hinsabberte. Janina ihm mit einem Tuch über den Mund fuhr und „Sehr fein, Herr Professor, das können Sie sehr gut!”, in breiten Akzent etwas lobte, was eigentlich nicht zu loben war und sie sich verzweifelt an den strahlend schönen Egon zu erinnern versuchte, in den sich die Kunststudentin vor über fünfunddreißig Jahren verliebt hatte. Fast verzweifelt versuchte sie sich von dem sabbernden Egon, der Janinas Hand von sich wegstieß und „Laß mich in Ruhe, Hexe, ich fürchte mich vor dir!”, rief, während die junge Betreuerin versöhnlich „Aber ich meine es doch gut, Herr Professor!”, ausstieß, zu lösen und versuchte sich das Bild des feschen Universitätsdozenten vorzustellen, der sehr bald Karriere machte. Zuerst zum Professor, später zum Institutsvorstand aufgestiegen war. Es gelang ihr nicht, wie sie fast zornig feststellte, denn statt des jungen Egons war ihr der noch jüngere Viktor Neumann vor Augen gekommen. Ihr Assistent, der ihr Nachfolger werden sollte und in den sie sich, wie sie fürchtete, ein wenig verliebt hatte und das ging doch nicht! Das durfte nicht sein, weil sie sich lebhaft vorstellen konnte, was das Kücken Beate dazu sagen würde?

„Ich bitte dich, liebe Mama, du bist doch schon über Fünfundsechzig! Gehörst zur Risikogruppe der älteren Menschen! Das kannst du auch dem Papa nicht antun, der nichts dafür kann, daß ihn diese Krankheit erwischt hat, die ihn verblödete! Dich vorher aber auf Händen getragen hat und mir und Albert immer ein sehr guter Vater war!”, hörte sie sie schimpfen und wandte ihren Blick von der Küche und dem sabbernden Egon ab und wieder ihrem Laptop zu, wo das Meeting mit Viktor beendet war, sich sein Bild aber immer noch in ihrem Kopf befand und das durfte nicht sein.

„Da hast du schon recht, Beate und brauchst dich gar nicht so zu echauffieren! Ich weiß, was sich gehört! Bin deinem Vater immer treu geblieben und werde das auch weiter tun!” Von einem jähen „Autsch!” und heftigem Stühlerücken wurden nun ihre Gedanken unterbrochen, denn Egon hatte Janinas Hand weggeschoben, das Lätzchen hinuntergerissen und war in sein Zimmer gestürzt. Der Teller mit dem Frühstücksbrot war hinuntergefallen. Janina rief „Entschuldigung, Frau Doktor, ich weiß, der Professor kann nichts dafür und man muß geduldig sein!” und folgte ihm in sein Zimmer nach. Roswitha schüttelte den Kopf und wandte sich, wenn auch nicht besonders konzentriert, ihren Ausstellungsplänen zu. Sie wußte, was sich gehörte und würde sich auf keinen Mann einlassen, der so alt wie ihr Sohn Albert war. Das wußte sie schon. Da brauchte Bea sie nicht belehren, auch wenn er sie noch so verführerisch anschaute. Aber das hatte er gar nicht getan oder nur ein bißchen. Eigentlich hatte er vorhin nur bedauert, daß sie sich nicht mehr sehen konnten und er gern weiter mit ihr im Museum zusammengearbeitet hätte. Aber auch da war nichts geschehen. Außer, daß sie das ebenfalls gern tat. Den jungen Historiker mochte, der ein hervorragender Mitarbeiter war. Sie war aber immer noch in Egon verliebt, auch wenn er vor sich hinsabberte, Janina und Zsuzsanna als Hexen beschimpfte, wenn sie ihn daran hindern wollten, die Wohnung zu verlassen und sie auch schon von sich gestoßen hatte.

„Ich glaube, du bist eine böse Frau!”, hatte er sie vorhin genannt und sich gewundert, daß sie sich nicht, wie sonst, im Museum befand, wo sie, sie gab es zu, die letzte Zeit viel und oft mit Viktor zusammengesessen war und auch öfter anschließend mit ihm eine schnelle Pizza gegessen oder ein Glas Wein getrunken hatte. Das war jetzt vorbei. Die Restaurants geschlossen. Das Homeoffice angesagt und wenn sich Egon darüber wunderte, daß sich in nächster Zeit eine weitere Hexe in der Wohnung befinden würde, mußte sie eine Lösung dafür finden, wie sie auch dafür sorgen mußte, Viktor aus dem Kopf zu bekommen. Was gar nicht so einfach war, weil sie ihn für die Ausstellungsplanung brauchte und daher öfter mit ihm skypen mußte, dachte sie und seufzte nochmals auf. Dann strich sie sich über die Stirn und stand auf, um in die Küche zu gehen und sich eine Tasse Kaffee aufzubrühen, die sie jetzt dringend brauchte.