Die Frau auf der Bank oder dreimal S

Selma, Sevim und Svetlana sind drei Frauen, die in unterschiedlichen Gesellschaftsschichten agieren - Selma als einsame Paranoia-Sheriffa, Sevim als von ihrem Ehemann unterdrückte Hausfrau und Svetlana als erfolgreiche Psychiaterin. Drei Frauen, unterschiedlicher Herkunft, mit unterschiedlichem Alltag und doch treffen sie immer wieder zufällig aufeinander.

Doch nicht nur das: Selma, die allein durch die Stadt flaniert, greift nur durch Zuhören und Fragen in die Schicksale der beiden anderen ein. Während die eine aus einer unglücklichen Zweisamkeit ausbrechen kann, ergibt sich für die andere ein glückliches Nichtalleinesein. Und Selma, die einsame Glücksfee bekommt als Belohnung immerhin ein lang ersehntes Treffen.

Sarah Wipauer

Die Personen und die Handlung sind erfunden.

13

Svetlana war pünktlich zu ihrer Tanzstunde eingetroffen und so aufgeregt, wie sie es früher bei den Vorlesungen und heute bei den Ärztebesprechungen war. Aufgeregt und erwartungsvoll. Eine weiße Bluse und einen schwarzen Rock hatte sie angezogen und flache Schuhe, die zwar elegant aussahen, aber so bequem waren, daß sie sich eine Stunde im Kreis drehen konnte, ohne Blasen zu bekommen. Wenn sie sich so umsah, war sie ein wenig overdressed, obwohl in dem Informationsblatt, das ihr die bebrillte Sekretärin überreichte, etwas von angemessener Kleidung gestanden hatte. Aber was ist schon angemessen?

„Keine Jeans!”, hatte sie gesagt.

„Das wünscht unser Tanzmeister nicht!”

Also trug sie keine solchen und war im Vergleich zu den anderen ein wenig bieder angezogen. Ein rotes Kleid, wie das, das Sevim getragen hatte, hätte es auch getan. Aber sie besaß kein rotes Kleid und Sevim war nicht da. Zum ihrem Glück war sie nicht die Älteste, aber das war zu erwarten, da ihr die Brillenschlange einen Kurs für Quereinsteiger, die die Tanzschule aus irgendeinem Grund versäumt hatten, empfohlen hatte. Auch der Tanzmeister war ein älterer Mann in einem altmodischen dunklen Anzug und der Typ, der auf sie zukam, um sie zu seiner Partnerin zu küren, schien auch ein übergebliebener zu sein und ein wenig schüchtern. Älter als sie war er. Eine emotionale instabile Persönlichkeit oder zumindest eine Sozialphobie würde sie ihm zuordnen. Aber das gehörte nicht hierher. Der ICD mußte auf der Station beziehungsweise in der Ambulanz verbleiben. Sie würde sich ihm, der sich Florian Hinteregger nannte, auch nicht als Ärztin vorstellen.

„Svetlana Mihic!”, sagte sie und nickte, als er wissen wollte, ob sie aus Ex-Jugoslawien käme?

„Meine Eltern, ich wurde in Wien geboren, zweite Generation, alles klar?”

Am besten gab sie sich als Krankenschwester aus, wenn er sie nach ihrem Beruf fragte oder als Pflegehelferin. Aber das tat er nicht, sondern erzählte, daß er in seiner Jugend den Tanzkurs versäumt hatte.

„Wissen Sie, da war ich zu schüchtern! Jetzt habe ich eine Bekannte, die gerne tanzt und ich möchte ihr nicht auf die Zehen steigen. Da habe ich mich heimlich angemeldet!”

Sie war über diese Auskunft erleichtert und konnte zugeben, daß es bei ihr ähnlich war. Was aber nicht passte, da er sich sofort nach ihrem Bräutigam erkundigte und sie hatte keinen. Aber er fragte wenigstens nicht nach dem Herrn Oberarzt. Svetlana mußte sich eingestehen, daß sie, als sie den Raum betrat, Ausschau gehalten hatte, ob sie nicht ihre Patientin sähe. Aber Selma Obermayer war nicht da. Natürlich nicht, wußte sie ja, daß ihr die Mittel dazu fehlten. Andererseits hatte sie ihr von Sevim erzählt und das war schon seltsam, daß sie von Sevims Geburtstag und ihrem Familientanzkurs wußte. Spionierte sie ihr nach? Aber Selma Obermayer hatte eine Paranoia und nicht sie und der Oberarzt war natürlich nicht anwesend. Auch da hatte sie sich umgeschaut und erleichtert aufgeatmet. Der Tanzmeister hielt inzwischen seine Einstandsrede vom guten Benehmen und eine ältere Dame, die ebenfalls einen schwarzen Rock und eine weiße Bluse trug, setzte sich ans Klavier und begann zu spielen. Foxtrott. Walzer kam erst später, aber Foxtrott war, wie sie gedacht hatte, auch recht schwer. Irgendwo muß man aber beginnen und Florian Hinteregger schien das Gleiche wie sie zu denken, merkte sie doch, daß er einen roten Kopf bekam. Sie atmete durch und konzentrierte sich auf den Tanzmeister. Das hatte sie sich die letzten zwanzig Jahre so angewöhnt. Das hatte ihr durch die Rigorosen geholfen. Also würde es ihr auch zu Tanzschritten verhelfen, obwohl sie die nicht wirklich brauchte, weil sie nicht die Absicht hatte, den Ärzteball zu besuchen. Das war nur ein verrückter Einfall ihrer Patientin. Seltsamerweise hatte Theo Hardenberg ihn in der letzten Morgenbesprechung aufgegriffen und sie darauf angesprochen. Keine Panik, der Ärzteball war im Jänner oder Februar. Jetzt war Anfang Oktober, also noch viel Zeit. Bis dahin hatte er sicher vergessen, daß sie darüber gesprochen hatten. Allerdings war er kurz nachdem Selma Obermayer das Sprechzimmer verlassen hatte, hereingekommen und erkundigte sich, ob sie mit ihm in die Oper gehen wolle? Da war sie wieder rot geworden und hatte nur gehofft, daß er es nicht merkte. Ob sie das auch ihrer Patientin zu verdanken hatte? Vielleicht hatte die ihm aufgelauert und ihn auf die Idee gebracht? Er erzählte aber, daß seine Eltern ein Abonnement besäßen, das sie an ihn weitergegeben hätten, weil sie auf Weltreise wären und er mit seiner Schwester gehen hatte wollen, die verhindert war. Da war er auf die Idee gekommen, die charmante Kollegin zu fragen. Sie war noch nie in der Oper gewesen, weil sie aus einer Familie stammte, die keine Abonnements an ihre Kinder weitergab und keine Weltreisen unternahm. Das konnte sie Theo Hardenberg aber nicht sagen. Zum Glück konnte sie sich auf den Tanzkurs ausreden. So atmete sie durch, um nicht rotzuwerden, fixierte fest Theo Hardenbergs Nasenspitze und bedauerte, ablehnen zu müssen, da heute ihre Tanzstunde sei. Eigentlich hatte sie nicht davon sprechen wollen. Hatte sie ja schon zuviel erzählt. Eine andere Ausrede war ihr aber nicht eingefallen. Jetzt zuckte sie zusammen, es entfuhr ihr ein „Autsch!”, war doch Florian Hinteregger auf ihre Zehen getreten. Er bekam einen roten Kopf und entschuldigte sich sofort. Sie antwortete „Macht nichts, es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen!”

Der Tanzmeister, der das auch zu denken schien, kam auf sie zu und zeigte, wie er es machen sollte. Die jahrelange Konzentration auf die Vorlesungen und den Turnus hatte den Vorteil, daß ihr der Tanzkurs keine Schwierigkeiten bereitete und so lobte sie der Tanzmeister auch.

„Ausgezeichnet! Ich sehe, die Dame hat verstanden!”

Da wurde sie wieder verlegen, wollte sie vor Florian Hinteregger doch nicht als Streberin dastehen. Obwohl es egal war und ihm nichts anging, daß sie schnell begriff. Sollte er froh sein, daß sie nicht auf seinen Zehen herumtrampelte. Sie würde pflichtbewußt, wenn sie nicht gerade Nachtdienst hatte, die Stunden absolvieren und das Ganze dann vergessen. Schwieriger war es mit ihrer Patientin. Denn die schien immer ins Schwarze zu treffen, ob das zu einer Paranoia gehörte? Wenn sie sich traute, konnte sie das den Chef bei einer der Morgenbesprechungen fragen oder Theo Hardenberg. Nein, ihn nicht! Ihm würde sie nicht erzählen, daß sie eine Patientin hatte, die sie mit ihm verkuppeln wollte. Das würde noch fehlen. Jetzt sollte sie sich auf die Tanzstunde konzentrieren und Selma Obermayer vergessen. Sie war nicht da und auch Theo Hardenberg nicht. Florian Hinteregger legte ungeschickt den Arm um ihre Schulter und wäre, wenn sie nicht aufgepasst hätte, wieder auf ihren Fuß getreten.


Alfred Nagl